Die Schwerindustrie des Ruhrgebiets übte seit dem späten 19. Jahrhundert eine große Faszination auf Kunstschaffende aus. In ihren Werken hielten sie die inzwischen häufig verschwundenen Anlagen, die Veränderung der Landschaft und die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt fest.
Die Industriemalerei entwickelte sich zwischen den akademischen Kunstströmungen und der Fotografie. Euphorisch bis kritisch spiegeln die Gemälde verschiedene gesellschaftliche und politische Einstellungen gegenüber der Industrie. Neben Außen- und Innenansichten, Landschafts- und Arbeiterdarstellungen zeigt die Ausstellung ihre romantischen und ideologischen Züge und stellt einzelne Künstler:innen vor.
Der Sammler Ludwig Schönefeld stammt aus dem Ruhrgebiet. Über drei Jahrzehnte hat der Kommunikationsfachmann und Historiker Industriedarstellungen von sowohl bekannten als auch unbekannten Künstler:innen zusammengetragen. Seit 2022 befindet sich die über 1.500 Objekte umfassende Sammlung in der Obhut der Ruhr Museums. Etwa 250 Gemälde und Grafiken wurden für die Ausstellung ausgewählt.
Das Ruhrgebiet ist wie kaum eine andere Region durch die Industrialisierung geprägt. Sie hat es als Einheit und als wirtschaftlich geprägten Bezugsraum überhaupt erst entstehen lassen und aus einer ehemals dünn besiedelten, politisch zerstückelten Agrarlandschaft den bis Mitte des 20. Jahrhunderts größten industriellen Ballungsraum in Europa gemacht. Die Phase der Industrialisierung hat die Region tiefgreifend und dauerhaft geprägt: Sie formte die Bevölkerung durch Zuwanderung, gestaltete die Region als Zentrum von Kohle und Stahl, förderte weitere Industrien und schuf eine umfassende Infrastruktur.
Obwohl das Industriezeitalter im Ruhrgebiet nach einem jahrzehntelangen Strukturwandel inzwischen der Vergangenheit angehört, sind seine Auswirkungen – wirtschaftlich, ökologisch, gesellschaftlich und kulturell – bis heute spürbar.
Die neue Sonderausstellung »Das Land der tausend Feuer. Industriebilder aus der Sammlung Ludwig Schönefeld« ist die erste Ausstellung des Ruhr Museums zum Bild des Ruhrgebiets in der Kunst und lädt dazu ein, das Ruhrgebiet durch die Augen von Künstlern und einigen Künstlerinnen zu entdecken, die die massiven Veränderungen der Region zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Stilen dokumentierten.
Sie ist vom 7. April 2025 bis zum 14. Februar 2026 in den spektakulären Kohlenbunkern auf der 12-Meter-Ebene des Ruhr Museums auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein zu sehen.
Prof. Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums, erläutert: »Zu den wichtigsten Aufgaben eines Regionalmuseums gehört, die Erinnerung und Wahrnehmung der Menschen zu dokumentieren: Wie haben Zeitzeugen die Industrialisierung erlebt? Wie empfanden sie den Wandel des Reviers, den wirtschaftlichen Aufstieg und den späteren Niedergang? Und welches Bild verbanden sie mit dem einst so lebendigen ‚Land der tausend Feuer'?«
Die Sonderausstellung mit den Industriebildern aus der Sammlung Ludwig Schönefeld beschäftigt sich mit diesen Fragen. Sie schafft die Verbindung von Kunst und Geschichte und regt zur Reflexion über die sozialen, wirtschaftlichen sowie ökologischen Auswirkungen der Industrialisierung an. Die 240 ausgewählten Werke zeigen, wie Künstlerinnen und Künstler subjektiv den Wandel der Region und die damit verbundenen Herausforderungen in ihren Werken eingefangen haben. Die Auswahl zeigt aber auch die Bandbreite der Kunstschaffenden. Der Intention des Sammlers folgend, werden Werke von bekannteren Künstlern, Autodidakten bis hin zu anonymen Urheberinnen und Urhebern gezeigt. Die Ausstellung unterstreicht damit, dass nicht allein der Name und künstlerische Ruf über die Bedeutung eines Industriegemäldes für die Geschichte des Ruhrgebiets entscheiden.
Die Bilder spiegeln eindrucksvoll die euphorischen, aber auch die kritischen, romantischen und ideologischen Einstellungen gegenüber der Industrie. Die zwischen 1890 und 2010 entstandenen Bilder der Ausstellung künden von den Zeiten, in denen Kohlenförderung und Stahlerzeugung sowie die schwerindustrielle Massenproduktion, aber auch Arbeitskämpfe, Armut sowie Gesundheits- und Umweltschäden im Ruhrgebiet allgegenwärtig waren. »Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Industrie und den Landschaften des Ruhrgebiets reflektiert nicht nur die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der Region, sondern auch die jeweilige politische und gesellschaftliche Haltung der Kunstschaffenden gegenüber den industrialisierten Arbeitswelten«, erläutert Projektleiterin und Kuratorin Dr. Reinhild Stephan-Maaser. »In den Bildern kommen nicht nur die individuellen Beweggründe und Interessen der Künstler und Künstlerinnen zum Ausdruck, sondern auch die jeweils aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskurse zur Arbeit wie auch zum Verhältnis des Menschen zu Fortschritt und Technik.«
Die Ausstellung ist nach Bildthemen und Motiven in 18 Kapitel gegliedert. Darunter sind Abteilungen wie zum Beispiel »Zechen und Kokereien«, »Untertage« oder »Industrieromantik«. In den Seitenräumen werden spezielle Themen vertieft und einzelne Persönlichkeiten vorgestellt, die eine besondere Bedeutung in der Kunstszene des Ruhrgebiets einnehmen – darunter Herman Heyenbrock als ältester Künstler (1871–1948) und Alexander Calvelli (*1963) als bekanntester lebender Industriemaler.
Industriemalerei im Ruhrgebiet
Die Industriemalerei entwickelte sich zwischen den akademischen Kunstströmungen und der Fotografie und transportiert die unterschiedlichen Einstellungen gegenüber der Industrie. Tatsächlich erstaunt aus heutiger Perspektive der meist positive Blick, mit dem Zechen, Stahlwerke, Kokereien und Industriehäfen als Arbeitgeber und Stätten technischen Fortschritts dargestellt wurden. Aus den unterschiedlichsten Gründen richteten Künstler und einige wenige Künstlerinnen dieser Zeit ihre Aufmerksamkeit auf die Phänomene der Schwerindustrie – häufig gegen den Trend zur Abstraktion in der Kunst der Avantgarde. Industriemalerei war an den Akademien nur selten ein Thema. Die Bilder stießen auch beim zahlungskräftigen Publikum kaum auf ein größeres Interesse. Viele Industriegemälde und -grafiken entstanden als Auftragsarbeiten für die Vorstandsetagen und Printmedien der industriellen Betriebe. Die weiteren Beweggründe erschließen sich häufig aus den Biografien der Künstler und Künstlerinnen: Familiäre Prägungen, die Beschäftigung in einer Zeche oder einem Stahlwerk, Heimatliebe, aber auch soziale Fragen oder die künstlerische Herausforderung bei der Darstellung von Atmosphärischem wie Feuer, Rauch und Dampf sowie die Faszination für Produktionsprozesse waren entscheidende Faktoren.
Hochdetaillierte Szenen, zum Beispiel aus der Stahlproduktion, offenbaren den Industriealltag in einer ganz eigenen Ästhetik. In stilistischer Hinsicht ist der Einfluss des Impressionismus in der Darstellung von Licht- und Farbeffekten, etwa bei den Szenen in den Hochöfen und Kokereien, spürbar. Während Gemälde die Industrie oft idealisieren, betonen Werbegrafiken die Größe und Effizienz der Fabriken – Arbeiter wurden dabei oft nur als kleine, anonyme Figuren im Räderwerk der Produktion dargestellt. Diese Bilder prägten das industrielle Selbstverständnis des Ruhrgebiets und machten den technologischen Fortschritt sichtbar.
Die Industriemalerei diente durchaus auch politischen Zwecken. So wurde industrielle Arbeit als Symbol nationaler Stärke verherrlicht. Manche Künstler zeigten die harten Arbeitsbedingungen, andere stilisierten Arbeiter zu heroischen Figuren. Mit dem Ersten Weltkrieg wurde die Industriemalerei zunehmend patriotisch. Die Gemälde aus dieser Zeit sind oft von einem idealisierten Blick auf die Arbeit und den Fortschritt durchzogen, der die harte Realität des Arbeitsalltags kaum thematisiert. Werke aus der Zeit des Nationalsozialismus glorifizieren die industrielle Leistung als Beitrag zur nationalen Größe, wobei eine enge Verbindung zwischen Arbeit und Patriotismus hergestellt wird. Das Bild des gestählten deutschen Arbeiters als Held war Teil einer breiten nationalsozialistischen Propaganda.
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet die Industriemalerei unter kritische Beobachtung, insbesondere hinsichtlich der Rolle der Künstler im Nationalsozialismus. Es herrschte ein pauschaler Verdacht gegenüber den Industriemalern, allzu unkritisch die Politik des Nazi-Regimes unterstützt zu haben. Dies führte einerseits zu einem starken Rückgang der idealisierenden Industriemalerei, zum anderen zu neuen künstlerischen Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel abstrakten Darstellungen, mit dem Thema Industrie. Der Strukturwandel brachte schließlich wieder neue Industriebilder hervor, die verlassene Werke und zunehmende Arbeitslosigkeit dokumentierten.