Die beiden Inszenierungen Das eingebildete Tier und Ein anderes Blau sind gemeinsam entstanden: In ihrer Komplementarität verweisen sie aufeinander und sind dennoch auch einzeln erlebbar. Aufgrund dieses Zwillingscharakters sind sie an einigen Tagen als Doppelvorstellungen zu sehen. Eine gemeinsam verbrachte Pause, in denen wir das Publikum zu Brot & Suppe und auf ein Getränk einladen, verbindet an diesen Tagen die beiden Inszenierungen zu einem besonderen Ereignis.
Ein aberwitziges Sprach-Spektakel, das wieder Schwung in die festgefahrenen Verhältnisse bringen will, wird von Schweigen und Innehalten beantwortet und endet im gemeinsamen Gesang. Ekstase trifft auf Stille, wilde Entäußerung auf Meditation. Saukomisch und hundetraurig. Ein Ensemble, ein Raum, ein Musiker, und zwei Regisseurinnen, die sich künstlerisch begegnen und mit dem Ensemble nach Möglichkeiten suchen, der Gewalt einer beschleunigten Gegenwart sehr unterschiedliche, utopische Feste des Spiels entgegenzustellen.
Das eingebildete Tier (DEA)
Ein ekstatisches Menschheits-Spektakel
Menschen. Tiere. Chaos. Wilder Zirkus. Licht und Vergnügen. Aufstand. Veränderung. Valère Novarinas Texte sind wahre Höllen-Mixer, um das nicht endende Abenteuer Sprache als eigenständig wirkende Kraft erlebbar zu machen – welthaltig und voll von unbändigem Witz. In Frankreich der große Theatermensch der Gegenwart, mit wochenlang ausverkauften Theaterhäusern im ganzen Land, ist Novarina für das deutsche Theater immer noch eine Entdeckung. Grund genug, hierzulande erstmals ein großes Stück des außergewöhnlichen Autors und Theatermachers aufzuführen!
Der Mensch verfügt über ein sehr besonderes Instrument, das ihn vor allen anderen Lebewesen zum Meister der Utopie macht: Aus seinem Mund sondert er unablässig Sprache ab, mit der er das Unmöglichste und Aberwitzigste auszudrücken vermag. Sein Sprechen holt alles herbei, was es (noch) nicht gibt. Mit der Sprache stemmt sich dieses „eingebildete Tier“, das er ist, mit aller Wucht gegen den Tod: Der unaufhörlichen Bedrohung durch das Nichts setzt er ALLES entgegen und lädt uns dazu ein, ihm auf der Bühne dabei zuzusehen, wie aus der Einbildung noch nie gehörte Laute, Töne und Wörter entstehen.
Der große französische Theatermensch Molière schrieb und spielte den „eingebildeten Kranken“ bis zu seinem echten Tod auf den Brettern, die, wie es oft heißt, „die Welt bedeuten“. In einem aberwitzigen und absurden Reigen versammelt sich nun im Theater an der Ruhr eine sehr lebendige Truppe von neun Spieler*innen – und zeigt uns die ganze Kraft des „eingebildeten Tiers“: Tänzerisch und musikalisch, verzweifelt und komisch liefern sie sich der Sprache aus und lassen so eine Welt entstehen, die wir noch nie gesehen und gehört haben – eine Utopie.
Ein anderes Blau (UA)
Meditation über die Sehnsucht Stell dir vor, hinter den Erscheinungen leuchtet etwas auf. Etwas verschiebt, entfaltet sich um dich her. Du siehst mit einem Mal die möglichen Wege deines Lebens. Träumst du? Es ist, als würde deine Wahrnehmung sich verdichten. Noch weißt du es nicht, aber da ist eine Ahnung, wo es dich hinzieht in der Zeit, die dir gegeben ist. Du hältst inne. Du bist nicht allein. Da ist er, der Augenblick, in dem die Stille übergeht in Gesang.
Angeregt von Novalis‘ Romanfragment Heinrich von Ofterdingen, den Sehnsuchtsmotiven der Romantik und einer daran inspirierten Auseinandersetzung mit der Angst vor dem Tod, begibt sich das Ensemble auf eine unkonventionelle Suche nach den Möglichkeiten von Begegnung und Verbundenheit. Wie können wir uns und die Welt um uns her neu entdecken? Was begeistert uns? Was treibt uns an? Welche Ängste und Trennungen können wir überwinden, welche Gemeinschaften bilden?
Zwischen Meditation und Choreografie, Klamauk und Zärtlichkeit lässt der Abend weitgehend sprachlos einen poetischen Bilderreigen entstehen, der Menschen mal gemeinsam einsam, mal als einander aufhebende Gruppe, schließlich im vorbehaltslosen Einklang zusammenführt und begleitet – in die aufscheinende Gewissheit, dass alles, was ist, auch anders sein könnte.