Franz Wanner (*1975, Bad Tölz) interessiert sich für die Lücke zwischen Realität und Selbstdarstellung der deutschen Bundesrepublik. Dafür recherchiert er die Geschichte Deutschlands, und betrachtet aufmerksam, wie diese für die Gegenwart beschönigt, bereinigt und instrumentalisiert wird. Die Ausbeutung von Arbeitskraft ist das zentrale Thema seiner Ausstellung am Lenbachhaus: Im Nazismus war der Einsatz von Zwangsarbeiter*innen in allen gesellschaftlichen Bereichen weit verbreitet. Auf den massiven Strukturen der NS-Zwangsarbeit fußten später die Anwerbeabkommen mit Italien, der Türkei, Griechenland und Jugoslawien. So wurden die Menschen, die ab 1955 angeworben wurden und nach Deutschland zogen, teils in ehemaligen NS-Baracken untergebracht, die als "Gastarbeiterlager" bezeichnet wurden; die gesetzliche Grundlage der Abkommen basierte auf einer NS-Verordnung aus dem Jahr 1938.
Eine Schutzbrille aus Plexiglas steht am Anfang von Wanners Ausstellung "Eingestellte Gegenwarten". Die Brille wurde bei Grabungen auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen geborgen. Über die inhaftierte Person, die zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie eingesetzt war und mit der Brille ihr Augenlicht schützte, gibt es bislang keine auffindbaren Informationen. Einzig ihr Wunsch sich zu schützen, zeigt sich bis heute an diesem Objekt.
Das Material, aus dem die Brille besteht, wurde 1933 von der deutschen Firma Röhm & Haas unter dem Markennamen "Plexiglas" vorgestellt und ab 1936 fast ausschließlich in der Rüstungsindustrie für Flugzeugfenster verwendet. Die Ästhetik seiner augenscheinlichen Unsichtbarkeit nutze der NS-Staat jedoch auch für Propagandaausstellungen. Heute bestehen unterschiedlichste Gegenstände aus Plexiglas, vom Polizeischild bis zur musealen Vitrinenhaube. In Wanners Inszenierung in der Ausstellung werden solche Gegenstände, losgelöst von ihrer ursprünglichen Funktion zu Verwahrstücken, durch die Wanner den Ausstellungsraum als Tatort markiert. Im Nazismus wurden im Namen des “Kunstschutzes” auch in Museen wie dem Lenbachhaus Zwangsarbeiter*innen eingesetzt, etwa zur Evakuierung von Kunstwerken bei Luftangriffen.
Durch seinen prüfenden Blick auf heutige staatliche Institutionen wie den Geheimdienst und die Polizei, die Verzahnung von universitärer Forschung und Rüstungsindustrie, sowie Deutschlands aktive Rolle in der auf Abwehr ausgerichteten Migrationspolitik der Europäischen Union fragt Wanner, wo und wie sich der Nazismus von einst im Wirtschaftsliberalismus von heute fortschreibt.
Als Artist in Residence des Harun Farocki Instituts entwickelte Franz Wanner die Ausstellung "Mind the Memory Gap" für das KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst in Berlin. Die Ausstellung am Lenbachhaus beruht auf dieser früheren Präsentation.
Kuratiert von Stephanie Weber.
Preisinformation:
Regulär: 10 Euro Ermäßigt: 6 Euro
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