FOTO: © Venera Kazarova

Die Geschichte eines Ohres, das sich taub stellte

Das sagt der/die Veranstalter:in:
Geschichte eines Ohres, das sich taub stellte“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt, das Theater,

zeitgenössischen Tanz und experimentelles Kostümdesign miteinander verbindet. In dieser

performativen Arbeit wird das Hören nicht nur als biologischer Sinn, sondern als soziales und

politisches Phänomen erforscht. Die Inszenierung stellt die Frage, welche Rolle das Zuhören –

oder das absichtliche Nichtzuhören – in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben spielt.

Im Zentrum der Performance steht ein Ohr, das sich taub stellt – eine absurde, aber zugleich

erschreckend treffende Metapher für die selektive Wahrnehmung unserer Zeit. In einer Welt, in der

Informationen im Überfluss vorhanden sind und jede Stimme um Gehör ringt, entscheiden viele

Menschen instinktiv, nur das zu hören, was in ihr bestehendes Weltbild passt. Diese selektive

Taubheit ist kein individuelles Phänomen, sondern ein kollektiver Mechanismus der Abgrenzung,

der Missverständnisse, soziale Spaltungen und Gleichgültigkeit fördert.

Die künstlerische Umsetzung bedient sich einer bildhaften Sprache: große, groteske Ohren

wachsen aus Köpfen der Performerinnen, sind aber funktionslos – dekorativ, überzeichnet,

ironisch. Sie stehen für eine Gesellschaft, die zwar ständig über Kommunikation spricht, aber

zunehmend unfähig wird, wirklich zuzuhören. Die Körper der Performerinnen bewegen sich in

choreografierten Mustern zwischen Annäherung und Abwehr, zwischen Kontaktaufnahme und

Rückzug. Bewegung ersetzt das Wort, denn die Aufführung kommt vollständig ohne Sprache aus

– ein bewusster Verzicht, der auch das Publikum auf eine andere Art des Wahrnehmens

einstimmt. Die Abwesenheit gesprochener Sprache schafft eine besondere Offenheit für

unterschiedliche Zugänge. Die Performance richtet sich explizit auch an Menschen mit

Hörbeeinträchtigungen und an Personen, die nicht über gute Deutschkenntnisse verfügen. Die

nonverbale Struktur ermöglicht eine universelle Form der Kommunikation, die nicht über Worte,

sondern über Bilder, Rhythmus, Geste und Körperlichkeit funktioniert. Das Zuhören wird hier zum

Sehen – zur Wahrnehmung im erweiterten Sinn. Thematisch erweitert sich der Fokus von der

individuellen Ebene auf gesellschaftliche Strukturen. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn

ihre Mitglieder einander nicht mehr zuhören wollen? Welche Formen von Ignoranz entstehen aus

dieser Haltung? Und welche sozialen Konsequenzen hat es, wenn die Fähigkeit zur Empathie

durch eine Flut von Reizen, Meinungen und Ablenkungen überdeckt wird? Der performative Raum

wird dabei nicht als bloße Bühne verstanden, sondern als ein lebendiger Resonanzkörper, in dem

Bedeutungen entstehen, sich verschieben, hinterfragt und neu verhandelt werden. Die

Zuschauerinnen sind eingeladen, sich selbst als Teil dieses Kommunikationssystems zu begreifen

– als hörende, sehende, urteilende Wesen. In der Inszenierung spiegeln sich nicht nur die

Performerinnen, sondern auch die Zuschauer*innen selbst: ihre Erwartungen, ihre Reaktionen, ihre

Bereitschaft, sich einzulassen. Das Kostümdesign spielt eine zentrale Rolle im ästhetischen

Konzept der Arbeit. Die Kostüme bestehen aus recycelten Materialien, darunter metallische,

glänzende Oberflächen, die einerseits eine kühle Distanz erzeugen, andererseits durch ihre

Körpernähe eine gewisse Verletzlichkeit offenbaren. Die Ohren – in unterschiedlichen Größen und

Formen – entwickeln ein Eigenleben, werden zum Ausdruck innerer Zustände und kollektiver

Dynamiken. Sie hängen schlaff, sie richten sich auf, sie vibrieren oder klappen zu. Dabei verlieren

sie ihre biologische Selbstverständlichkeit und werden zu Zeichen – übergroß, absurd, poetisch.

Die Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von Tanztheater, Performancekunst und installativer

Bildsprache. Sie ist ebenso ein körperlicher wie ein konzeptueller Akt. Die Choreografie setzt sich

aus Fragmenten zusammen, aus Bewegungsmustern, die manchmal rhythmisch, manchmal

stockend, manchmal in plötzlichen Impulsen erscheinen – ein körperliches Stottern, das die

Brüche in der Kommunikation sichtbar macht. „Die Geschichte eines Ohres, das sich taub stellte“

ist somit auch eine Erzählung über Verantwortung: die Verantwortung, zuzuhören, auch wenn das

Gesagte unbequem ist. Die Verantwortung, präsent zu bleiben, auch wenn Rückzug einfacher

erscheint. Und die Verantwortung, Teil eines Gesprächs zu sein, das nicht nur aus Worten besteht,

sondern aus Gesten, Blicken, Schweigen – und der Bereitschaft, sich berühren zu lassen.

Preisinformation:

12.00 - 17.00€

Location

Acker Stadt Palast Ackerstr. 169/170 10115 Berlin

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