In the organizer's words:
Geschichte eines Ohres, das sich taub stellte“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt, das Theater,
zeitgenössischen Tanz und experimentelles Kostümdesign miteinander verbindet. In dieser
performativen Arbeit wird das Hören nicht nur als biologischer Sinn, sondern als soziales und
politisches Phänomen erforscht. Die Inszenierung stellt die Frage, welche Rolle das Zuhören –
oder das absichtliche Nichtzuhören – in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben spielt.
Im Zentrum der Performance steht ein Ohr, das sich taub stellt – eine absurde, aber zugleich
erschreckend treffende Metapher für die selektive Wahrnehmung unserer Zeit. In einer Welt, in der
Informationen im Überfluss vorhanden sind und jede Stimme um Gehör ringt, entscheiden viele
Menschen instinktiv, nur das zu hören, was in ihr bestehendes Weltbild passt. Diese selektive
Taubheit ist kein individuelles Phänomen, sondern ein kollektiver Mechanismus der Abgrenzung,
der Missverständnisse, soziale Spaltungen und Gleichgültigkeit fördert.
Die künstlerische Umsetzung bedient sich einer bildhaften Sprache: große, groteske Ohren
wachsen aus Köpfen der Performerinnen, sind aber funktionslos – dekorativ, überzeichnet,
ironisch. Sie stehen für eine Gesellschaft, die zwar ständig über Kommunikation spricht, aber
zunehmend unfähig wird, wirklich zuzuhören. Die Körper der Performerinnen bewegen sich in
choreografierten Mustern zwischen Annäherung und Abwehr, zwischen Kontaktaufnahme und
Rückzug. Bewegung ersetzt das Wort, denn die Aufführung kommt vollständig ohne Sprache aus
– ein bewusster Verzicht, der auch das Publikum auf eine andere Art des Wahrnehmens
einstimmt. Die Abwesenheit gesprochener Sprache schafft eine besondere Offenheit für
unterschiedliche Zugänge. Die Performance richtet sich explizit auch an Menschen mit
Hörbeeinträchtigungen und an Personen, die nicht über gute Deutschkenntnisse verfügen. Die
nonverbale Struktur ermöglicht eine universelle Form der Kommunikation, die nicht über Worte,
sondern über Bilder, Rhythmus, Geste und Körperlichkeit funktioniert. Das Zuhören wird hier zum
Sehen – zur Wahrnehmung im erweiterten Sinn. Thematisch erweitert sich der Fokus von der
individuellen Ebene auf gesellschaftliche Strukturen. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn
ihre Mitglieder einander nicht mehr zuhören wollen? Welche Formen von Ignoranz entstehen aus
dieser Haltung? Und welche sozialen Konsequenzen hat es, wenn die Fähigkeit zur Empathie
durch eine Flut von Reizen, Meinungen und Ablenkungen überdeckt wird? Der performative Raum
wird dabei nicht als bloße Bühne verstanden, sondern als ein lebendiger Resonanzkörper, in dem
Bedeutungen entstehen, sich verschieben, hinterfragt und neu verhandelt werden. Die
Zuschauerinnen sind eingeladen, sich selbst als Teil dieses Kommunikationssystems zu begreifen
– als hörende, sehende, urteilende Wesen. In der Inszenierung spiegeln sich nicht nur die
Performerinnen, sondern auch die Zuschauer*innen selbst: ihre Erwartungen, ihre Reaktionen, ihre
Bereitschaft, sich einzulassen. Das Kostümdesign spielt eine zentrale Rolle im ästhetischen
Konzept der Arbeit. Die Kostüme bestehen aus recycelten Materialien, darunter metallische,
glänzende Oberflächen, die einerseits eine kühle Distanz erzeugen, andererseits durch ihre
Körpernähe eine gewisse Verletzlichkeit offenbaren. Die Ohren – in unterschiedlichen Größen und
Formen – entwickeln ein Eigenleben, werden zum Ausdruck innerer Zustände und kollektiver
Dynamiken. Sie hängen schlaff, sie richten sich auf, sie vibrieren oder klappen zu. Dabei verlieren
sie ihre biologische Selbstverständlichkeit und werden zu Zeichen – übergroß, absurd, poetisch.
Die Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von Tanztheater, Performancekunst und installativer
Bildsprache. Sie ist ebenso ein körperlicher wie ein konzeptueller Akt. Die Choreografie setzt sich
aus Fragmenten zusammen, aus Bewegungsmustern, die manchmal rhythmisch, manchmal
stockend, manchmal in plötzlichen Impulsen erscheinen – ein körperliches Stottern, das die
Brüche in der Kommunikation sichtbar macht. „Die Geschichte eines Ohres, das sich taub stellte“
ist somit auch eine Erzählung über Verantwortung: die Verantwortung, zuzuhören, auch wenn das
Gesagte unbequem ist. Die Verantwortung, präsent zu bleiben, auch wenn Rückzug einfacher
erscheint. Und die Verantwortung, Teil eines Gesprächs zu sein, das nicht nur aus Worten besteht,
sondern aus Gesten, Blicken, Schweigen – und der Bereitschaft, sich berühren zu lassen.
Price information:
12.00 - 17.00€