PHOTO: © Michael Maurissens

Fatigateau

In the organizer's words:
Schneller, höher, weiter. So empfinden junge Menschen die Welt von heute und fürchten, diesem Tempo und den damit verbundenen Anforderungen nicht mehr Stand halten zu können. Die Bonner Junior Company erkundet in „Fatigateau“, ihrem insgesamt zehnten, aber ersten künstlerisch komplett eigenständig erarbeiteten Stück, die vielschichtigen Dimensionen von Erschöpfung.

Nach eigenen Aussagen steht dahinter das Gefühl, robotergleich durchs Leben zu rasen und funktionieren zu müssen, zu wenig Zeit für sich selbst und andere zu haben und dabei doch eigentlich zu erschöpft zu sein, um den hohen Erwartungen an eine junge, dynamisch-positive Generation gerecht zu werden. Gleichzeitig sehen die Tänzer*innen es als Geschenk, diesem Gefühl der Erschöpfung auf der Bühne Raum und Ausdruck verleihen zu können, sich ganz im Hier und Jetzt zu verlieren, sie selbst zu sein, und jederzeit von der Gruppe getragen zu werden. „Fatigateau“ ist die offene und kreative Auseinandersetzung mit einem scheinbaren Widerspruch – der einsamen Erschöpfung (frz. fatigue) und der süßen Leichtigkeit – die durch gemeinsame Erfahrung entsteht, wie ein Kuchen (frz. gâteaux), den man gut miteinander teilen kann.

Die Junior Company Bonn hat sich seit 2013 zu einem „Möglichkeitsraum“ für Heranwachsende zwischen 8 und 22 Jahren entwickelt. Die Fähigkeiten und Potenziale sind von Projekt zu Projekt gewachsen. Vor allem haben die Jugendlichen sich den Tanz als eine Lebensform angeeignet, in der Freiheit und Selbstbewusstsein gestaltet und erfahren werden können. Im Mittelpunkt der langjährigen partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der professionellen CocoonDance Company steht das Künstlerische, das auch jenseits pädagogischer Zielsetzungen wichtige Freiräume schafft.

Mit

Lene Victoria Burgardt, Lilith Chiriac, Anna-Naomi Kirchhoff, Emilia Klinz, Lola Kornbrust, Nelli Kornbrust, Clara Krueger, Marie Krüger, Emilia Lichte, Mina Locke, Maris Pauka, Nima Robin Saffarian, Ella Schwarzer, Anna Wehmschulte

Lola Kornbrust, Emilia Lichte, Maris Pauka, Robin Nima Saffarian – Choreografie, Konzept

Marcus Bomski, Fa-Hsuan Chen, Rafaële Giovanola, Ada Sternberg – Künstlerische und choreografische Beratung

Szymon Wojcik – Musik

Lilith Chiriac, Fa-Hsuan Chen – Kostüme

Milon Pauka, Jan Wiesbrock – Licht- und Raumgestaltung

Rainald Endraß – Dramaturgische Beratung

 

Jurykommentar von Silke Gerhardt

Beim Betreten des Theaterraums empfangen uns vibrierende Bässe. Immer wieder erklingt aus den Boxen die Aufforderung „Work it!“ – wie ein Mantra unserer Leistungsgesellschaft. Wir haben die freie Wahl, an einer der vier Seiten der Spielfläche Platz zu nehmen – der klassische Bühnenraum ist aufgehoben. Die Tanzenden durchqueren bereits energetisch den Raum – mal einzeln, mal übernehmen sie die Bewegungsmuster der anderen. Sie erzeugen eine Atmosphäre von Geschäftigkeit und Hektik, die an einen Maschinenraum erinnert.

Von Beginn an beeindruckt die Klarheit der choreografischen Sprache. Das Ensemble spielt mit Rhythmus und Wiederholung: Körper zittern, zucken, stürzen, richten sich wieder auf. Die Bewegungen scheinen sich einzuschleifen, ein Gefühl des Aushaltens macht sich breit. Schnell wird deutlich: Hier geht es nicht um bloßes Tanzen – hier wird erzählt. Vom Müde-Sein, vom Druck zu funktionieren. Von Körpern, die durchhalten, obwohl sie an der Grenze zur Erschöpfung stehen.

Die Bewegungssprache der Jugendlichen ist authentisch – spürbar wird, dass sie sich auf die Suche nach ihren eigenen körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten begeben haben. Kollektive Momente, in denen sich die Tänzer*innen gegenseitig stützen, auffangen oder mitziehen, wechseln mit Szenen fast schmerzhafter Einsamkeit. Die daraus entstandenen, kaleidoskopartig wechselnden Bilder reflektieren ihre Sicht auf Themen wie Müdigkeit, Leistungsdruck und die Sehnsucht nach Entschleunigung mit großer Dringlichkeit.

Die Mitglieder der Junior Company Bonn verfügen über langjährige Erfahrung in der Entwicklung von Tanzstücken – und doch war bei dieser Produktion vieles neu. Der Versuch, erstmalig ganz eigenständig in einem kollektiven Schaffensprozess, ein Stück zu kreieren, ist ihnen auf beeindruckende Weise gelungen. Man spürt, dass sich alle Beteiligten nicht nur körperlich, sondern auch inhaltlich mit dem Phänomen der Erschöpfung, das uns alle betrifft, auseinandergesetzt haben.

Mit „Fatigateau“ ist der Gruppe ein eindrucksvolles Zusammenspiel aus Tanz, Raum und Klang gelungen – eine Inszenierung, die die Zuschauenden gleichermaßen fordert und berührt. Hier wird nicht über Erschöpfung getanzt, sondern mit ihr.

Danke für euren Mut, euch diesem wichtigen Thema auf so verletzliche Weise zu stellen!

 

Location

Berliner Festspiele Schaperstraße 24 10179 Berlin

Get the Rausgegangen App!

Be always up-to-date with the latest events in Berlin!